Ein neues Projekt muss wieder einmal her:
Fotos und Geschichten 
das keimte heute in mir und was in mir keimt, muss baldigst raus.

Let the show beginn - mit dem ersten Foto

Darf ich vorstellen: mein Papa - zu diesem Zeitpunkt etwa Mitte Zwanzig.
Vor einigen Tagen war sein 16. Todestag, und dennoch ist er immer bei mir, in meinen Gedanken. Er hat weder meine beiden jüngsten Töchter kennen gelernt, noch meinen Mann.
Wie soll ich meinen Kindern nahe bringen, welch toller Mensch er war? Für sie ist Wien-Opa ein Haufen Fotos, die ihn in unterschiedlichem Alter zeigen.

Wie ist dieses Foto entstanden? War er zuvor im Kino? Ist es auf einer der Hauspartys entstanden, die man in den 50ern veranstaltete?

Mein Vater war kein eitler Mann, er war sehr bescheiden und nahm sich selbst nie wichtig. Aber er hatte Humor und konnte über sich selbst lachen.... ich kann mir vorstellen, dass die Aufnahme im Spaß entstand und der Fotograf (mein Onkel?) und eventuell anwesende Andere viel zu lachen hatten.

Mein Vater war schlagfertig, er war kein Partylöwe, aber gern in geselliger Runde der stille Beobachter - er hörte genau zu,  mehr als er selber sprach. Er machte gerne Witze über andere, aber nie verletzend. Und wenn er einmal zu erzählen begann, dann war das eine humorvolle Bereicherung für alle Anwesenden.

Mein Vater wollte auswandern, nach Australien - das erfuhr ich, als ich fast schon 30 Jahre alt war. Er hatte die Papiere bereits in der Tasche, dann kam meine Mutter dazwischen. Ich finde das schade für ihn.... gut für uns - meine Geschwister und mich.

Was hätte er in Australien wohl gemacht? Hätte er auf einer Farm gearbeitet (kann ich mir gut vorstellen), Schafe geschoren (kann ich mir auch sehr gut vorstellen)? Hätte er sich sogar eine eigene Farm irgendwann gekauft?

Er liebte Musik, immer lief das Radio in seiner Anwesenheit und er kaufte Schallplatten, second hand. Seine liebsten Musiker und Schauspieler nannte er "mein Freund"... als kleines Kind war ich schwer beeindruckt, denn ich dachte mein Vater hätte einen ganzen Arsch voll prominenter Freunde, die reichten von: Gilbert Becaud über Johnny Cash und Roger Miller bis hin zu Reinhard Mey und John Wayne.
Er liebte es, Spaßtexte auf bekannte Lieder zu singen... ich hab so viele Dinge in meinem Leben vergessen, aber die Texte kann ich teilweise heute noch.

Ich liebte die Spaziergänge mit ihm... stundenlang liefen wir durch unseren Heimatbezirk und er erzählte mir, wo welche Läden und Kinos waren, als er noch ein Kind war. Wir liefen kilometerweise über Donaubrücken bis hin zur Donauwiese (später war das dann die Donauinsel), wir vernichteten auf unseren "Wanderungen" literweise Fruchtsäfte (Marillen- und Johannisbeer Pago) und Bier, aßen große Salzbrezel und -stangen, riegelweise Bensdorpschokolade. Und immer fanden wir irgendwas: achtlos weggeworfene Schokoladeschleifen, die wir - wenn eine gewisse Menge beieinander war - in der Schokoladefabrik gegen Schokolade eintauschen konnten (ja, sowas gab es wirklich); wir fanden mal sogar einen "Piratenschatz" - eine Blechdose mit Plastikspielgeld; wir sammelten Blumen und Kräuter, die er beim Namen kannte und genau wußte, welche man essen konnte und wie sie schmecken (Kleeblüten süss nach Honig, Sauerklee zog einem die Stelle unter den Ohren zusammen und Himmelsbrot schmeckte nussig). Oder wir sammelten einfach schöne Steine und spielten endlos Ich-seh-ich-seh-was-du-nicht-siehst.  Und auf dem Nachhauseweg gingen wir immer in das große Zuckerlgeschäft um die Ecke, wo es Gläser mit Gumminaschzeug gab und Tütchen mit Sammelbildern. In den Ferien packten wir einen Stapel Micky Maus Heftchen in eine Tasche und gingen in eine der vielen "Roman-Schwemmen", kleine Geschäfte vollgestopft mit billigen Groschenromanen in den Regalen und Comic-Hefte. Dort konnte man die Hefte eins zu eins gegen einen kleinen Betrag tauschen. Zu Hause angekommen schmökerten wir gemeinsam in den Heften und aßen Rohscheiben... so hießen die Kartoffelchips früher.

Er war ein Traum-Papa, unglaublich geduldig und humorvoll und er tat nie so, als hätte er die Weisheit mit dem Löffel gefressen, er konnte zugeben, wenn er etwas nicht wusste. Aber! Beim Rätsel ausfüllen war er der ungeschlagene Meister... was logischerweise auch immer Konsequenzen beim Stadt-Land-Fluß-Spielen mit sich zog, auch da war er unbesiegbar.

Ich erinnere mich an die unzähligen Stunden, die ich mit ihm an dem kleinen Tisch in der Küche zugebracht habe, wir spielten diverse Varianten von Rummy - oft die kompletten Ferien hindurch. Im Hintergrund immer Radiogeplänkel.

Und unvergessen bleiben mir die vielen Momente, gemeinsam am Küchenfenster - er stehend, ich daneben auf der Bank knieend - bis es dämmerte und wir die Fledermäuse um die Zedern kreisen sahen. Bis es soweit war, vertrieb er mir die Zeit des Wartens mit zotigen Versionen bekannter Balladen und Gedichte. So zum Bespiel die "Ottakringer Glocke" eine eigenwillige Kurzvariante Schillers Glocke:

"Auf der Erd'n liegt a Potzn Lahm (ein Patzen Lehm)
wos? des soi a Glock'n werdn?
Leckt's mi am Oasch
i geh wieda haam"

Natürlich verhalf mir diese Version nicht unbedingt zu guten Deutschnoten, aber immerhin brachte es mir Pluspunkte bei meinen Schulkollegen.

Ein wunderbar wohliges Gefühl bereitet mir die Erinnerung an diverse Abende, an denen wir Freunde der Familie oder Verwandte trafen und ich müde wurde, so dass mein Vater mich auf dem Nachhauseweg trug, er summte immer fröhlich vor sich hin und mein Ohr lag entweder auf seiner Brust oder auf seinem Rücken, seine tiefe Stimme erzeugte ein angenehmes Tremolo .... sollte ich mal Einschlafschwierigkeiten haben, bitte summt mir was in tiefer Stimme vor.

Er fehlt mir immer noch sehr und ich weiß: er fehlt meinen Kindern, auch wenn zwei von dreien es nicht wissen.

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